Landleben - "arbeiten"

Der Erste arbeitet sich zu Tod, der Zweite leidet auch noch Not und erst der Dritte – der hat Brot.

Dies war ein bekannter Spruch aus der damaligen Zeit. Ein Zeitzeuge, Sigismund D. [ *1921 +2018 ],  drückte es so aus: „Die einen hatten wenig, und die anderen hatten noch weniger, reich war dort niemand“. Und man bedenke, daß es bis zur Umsiedlung 1940 in vielen Dörfern, so wie in Kulczyn und Wojciechow, keinen elektrischen Strom und keine Wasserleitungen gab. Das Verkehrsmittel Nr.1 war das Pferdefuhrwerk. Als Beleuchtung diente die Petroleumlampe, mit Torf wurde überwiegend geheizt, der mühsam von Hand gestochen und getrocknet werden musste, und aus Hausbrunnen schöpfte man jegliches Wasser. Selbst nach dem 1. Weltkrieg wurden noch mit dem Dreschflegel die Körner aus den Ähren geschlagen, eine  anstrengende Arbeit, ebenso das Mähen des Getreides mit der Sense und das Binden der Garben. Die Kartoffeln wurden mit der Hacke aus dem Boden geholt, so wie auf diesem seltenen Bild Menschen bei der Arbeit zu sehen sind:

Sicherlich kam es darauf an, wie viel Land jemand besaß und von welcher Qualität es war, ob er eine glückliche Hand bei der Viehhaltung hatte, ob er ein guter und fleißiger Bauer war und ob das Wetter ihm keine Ernte vernichtete und Frau und Kinder all seine Bemühungen unterstützten. Jedoch darf man sagen, dass das Cholmer Land, im Vergleich zu anderen Landstrichen eine ärmliche und kaum bekannte Region, „eine andere Welt“ war.

Es fehlte eine nennenswerte Industrie, die Ursache für die spärliche wirtschaftliche Entwicklung. Die vorherrschende Landwirtschaft brachte aufgrund der schlechten Bodenqualität, wie schon erwähnt, geringe Erträge. Als weiteren Faktor sind die oft kleinen Höfe zu nennen.

Im Bericht der Einwanderungszentralstelle (EWZ) über das Dorf Kulczyn, der anlässlich der Umsiedlung im Jahre 1940 erstellt wurde, sind folgende Zahlen zur Größe der Höfe und der Bodengüte genannt:

„Die deutsche Ansiedlungsgesellschaft hat 50 Höfe mit 285,5 ha taxiert mit Betriebsgrößen von:

2 Höfe zu 0 ha

3 Höfe zu 0,5 – 2 ha

23 Höfe zu 2 – 5 ha

11 Höfe zu 5 – 7,5 ha

5 Höfe zu 7,5 – 10 ha

5 Höfe zu 10 – 19 ha

1 Hof zu 20 – 50 ha

… Bodengüte: halb gut, halb sandig, etwas Sumpf, zum kleinen Teil Waldboden und baumfreie Wüsten.“

Durch den Ertrag aus der Viehhaltung, niedrig gehaltene Kosten, unermüdlichen Fleiß und auch handwerkliches Geschick schufen die deutschen Siedler im Cholmer Land trotz dieser widrigen Umstände Höfe, von denen sie leben konnten.

Die Häuser aus Holz waren eher klein und bescheiden und hatten einen Grundriss von ca. 4 mal 8 Meter. Die Wände wurden aus Balken in einer Dicke von 10 bis 12 cm erstellt, an den Ecken verzahnt und von außen meistens mit Bretter verschalt. Das Dach bestand aus Sparren, Dachlatten und etwa 20 cm dicken Strohschichten. Wenn der Wind keinen größeren Schaden anrichtete, hielten die Dächer durchaus 20 Jahre.

Haus von August Witkowski in Kulczyn ~ Aufnahme: 193x

Der Ofen war gleichzeitig Heizofen und Kochstelle und wie die Kamine mit Lehmziegeln oder mit gebrannten Ziegeln gemauert. Der Fußboden bestand aus einem einfachen Bretterboden, um den Herd herum war wegen der Brandgefahr Lehmboden. Neben dem Wohnhaus war meistens direkt der Stall, daneben ein Schuppen oder eine Scheune sowie ein kleines Häuschen mit einem Backofen. Einzelne Höfe sind in U-Form angelegt worden, wie das Haus von August Friedrich Patzer in Kulczyn. 

Foto links:
Brunnen auf ehemaligem Hof von Badke in Wojciechów ~ Aufnahme: Jeske 2004

Wasser holte man aus Brunnen, den fast jeder am Haus hatte oder zusammen mit dem Nachbarn besaß. Die Brunnen wurden anfangs aus Eichenholz, viereckig und verzahnt angelegt, später sind Betonringe für die Einfassung verwendet worden. Die meisten Brunnen waren etwa 4 – 5 Meter tief. Geschöpft wurde das Wasser entweder mit einer Stange an der ein Haken befestigt war, oder mit einem Ziehschwengel. Oft verwendete man eine Holzwalze, an der eine Kette oder ein Seil befestigt war und zog damit den Eimer aus dem Brunnen. 2004 sahen wir diese Brunnen noch häufig.

Haus von August Friedrich Patzer in Kulczyn ~ Aufnahme: 193x

Die deutschen Siedler pflanzten überwiegend Roggen und Weizen, etwas Hafer und Gerste, Kartoffeln und Rüben. Ferner hielten sie Pferde, Kühe, Schweine, Gänse, Enten, Puten, Hühner. Die Bauern haben versucht, so viel wie möglich für ihren Bedarf selbst herzustellen. Verkauft wurde in erster Linie Getreide, Butter und auch Schweine.

„Was der Kolonist außer den eisernen Geräten in seiner Wirtschaft braucht, verfertigt er durchweg selbst:  Wagen, Schlitten, Harken, im Hause die Betten, Spinde, Tische, Stühle, Butterfässer, Truhen, Körbe, Brotschüsseln, Kochlöffel, Kriesel, Mangelhölzer. Frauen und Mädchen sorgen für Wandschmuck (Strohflechtarbeiten), Handtücher, Strümpfe … Bei alledem zeichnet sich der Kolonist durch eine vielseitige Geschicklichkeit aus, wie man sie selten bei einem Landwirt in Deutschland findet. “ [Kurt Lück [1] Seite 113].

Die Pferde waren damals unentbehrlich. Sie zogen den Pflug, die Egge und den Wagen, wenn Getreide oder Kartoffeln zu transportieren waren oder der Bauer zum Markt fuhr, zum Beispiel nach Wereszczyn, Sawin, Wlodawa oder Chelm. Auf diesen Märkten boten sie ihre Produkte an; sie selbst erwarben vorwiegend Stoffe oder Kleidung. Dort traf man außerdem Verwandte und Bekannte aus den Nachbarorten.

Gesät haben die Bauern von Hand, ebenso von Hand geerntet. Mit der Sense wurde alles gemäht, ob Gras oder Getreide. Es bildeten sich Gemeinschaften von mehreren Bauern, die sich gegenseitig beim Mähen und Dreschen halfen. Erst einige Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges, der in fast allen Orten einen sehr mühseligen Wiederaufbau mit sich brachte, konnten sich die Siedler Dreschmaschinen anschaffen. Angetrieben wurden diese mittels eines Göpels mit zwei bis vier Pferden, die im Kreis geführt wurden. Den Göpel setzte man früher vor allem im Bergbau als Förderanlage ein. Ende der dreißiger Jahre waren vereinzelt Dreschmaschinen mit einem Deutz-Motor auf dem Hof zu sehen. Ganz wenige Bauern konnte sich dann sogar Mähmaschinen leisten:

bei Cycow ~ 193x --- Aufnahme erhalten von Ted Belke, Edmonton - CAN

Sauerteigbrot wurde in jedem Haus gebacken. In Kulczyn mahlte Wilhelm Richter in seiner Bockwindmühle die Körner. Bei dieser Bauart konnte die Mühle vollständig in die jeweilige Windrichtung gedreht werden. Bei den Holländer Windmühlen wird nur das Dach zur Aus-richtung der Windflügel gedreht.

Im Frühjahr und im Spätherbst schlachteten die Bauern ein Schwein. Sie stellten Wurst her und hängten einen Teil des Fleisches in die Räucherkammer. Es war dann immer etwas Speck vorhanden, wenn „Fuscher“ auf den Tisch kommen sollte. Ein damals bei allen Siedlern bekanntes, einfaches Gericht aus Salzkartoffeln, etwas Mehl und Bauchfleisch:

„Das Kartoffelwasser nicht ganz abgießen, ein paar Eßlöffel Mehl darüber streuen, kurz abgedeckt stehen lassen, dann Mehl und Kartoffel gut durchstampfen. Das Bauchfleisch würfeln und mit einer Zwiebel in der Pfanne braten, eventuell mit etwas Sahne verfeinern. Den „Fuscher“ auf den Teller geben und darüber das ausgebratene Bauchfleisch, ein Glas Voll- oder Buttermilch dazu.“

Eine Speise die auf vielfältige Art hergestellt und zubereitet werden kann, sind die „Piroggen“. Wenn meine Suche im Internet richtig war, ist es ein russisches Gericht, das auch in Polen und bis nach Tschechien hinein gerne gekocht wird. Es sind Teigtaschen, die entweder mit Sauerkraut und gebratenem Speck oder mit Schichtkäse oder süß mit Heidelbeeren und Kirschen gefüllt werden. Im heißen Wasser werden die Piroggen gegart und je nach Wunsch noch zusätzlich in der Pfanne mit etwas Öl gebraten. 

Ein Gericht muß ich noch erwähnen, nichts Besonderes, aber es wurde in vielen Gesprächen erwähnt, die „Gruschken-Suppe“ -der Name ist abgeleitet von der polnischen Bezeichnung für Birne = Gruszka. Man verwendete für diese Obstsuppe Trockenobst und je nach Belieben etwas Kochfleisch, insbesondere kleine wildwachsende Birnen, die man Gruschken nannte. Angereichert wurde sie mit kleinen Mehlklößen.

Mühle von Wilhelm Richter in Kulczyn - Aufnahme von 1938

Die „Federabende“, in manchen Dörfern eine Institution, bedeuteten zwar auch Arbeit, aber nicht nur. Zu den „Federabenden“ kam man in einem Haus zusammen, um von den Federkielen die Daunen abzustreifen. Dazu sang man im Chor und erzählte Geschichten. Oftmals vergnügte man sich nach getaner Arbeit bei Musik und einem Tänzchen. (A. Jeske)